Samstag, 12. Juni 2010

Lockere Leine I

Freud oder Leid?
Teil 1: Hintergrundwissen


Vorweg und eiligen Schrittes zielstrebig ein Hund, am Ende der Leine mit lang gestrecktem Arm und in leichter schräg-nach-hinten Lage ein etwas angespannt kuckender Mensch, der hin und wieder ein angestrengtes „Jetzt zieh doch nicht so, Bello!“ hervorprustet. Alle paar Minuten bekommt Bello dann einen heftigen Leinenruck, bei dem er kurz erschreckt zusammen fällt, die Ohren anlegt, die Rute einzieht, ein paar Schritte anständig neben seinem Menschen herläuft, um sich dann wieder bis zum Leinenende vorzuarbeiten und dort wieder wie vorher zielstrebig seinen Weg zu verfolgen, bis er dann etwa 5 min später wieder einen heftigen Ruck kassiert... Ein Bild, das man gar nicht so selten sieht.

Warum zieht der Hund an der Leine?
Meist weil er es nicht anders gelernt hat. Schon als kleiner Welpe zieht der Hund eifrig dorthin, wo er hin möchte – weil er etwas Interessantes gerochen hat, seine Spielfreunde sieht oder ein wehendes Blatt verfolgt – und der Mensch am anderen Ende folgt brav dem Hund. Er ist ja noch klein. Aber was speichert der Hund im Kopf ab: Wenn ich ziehe, komme ich 1. da hin wo ich möchte und 2. viel, viel schneller. Das Problem beginnt Der Hund wächst und hat bald ein Gewicht (und eine Ziehtechnik) erreicht, bei dem es für den Menschen nun anstrengend wird.
Also fängt man an zu trainieren. Doch der Fortschritt will sich nicht einstellen, auch nach mehreren Tagen nicht. Der Hund hat nun über Wochen mit seiner Vorstellung vom an der Leine gehen Erfolg gehabt, für ihn (und bis dahin ja auch für seinen Menschen) war das Gezerre so OK gewesen – warum sollte er dies jetzt in wenigen Tagen aufgeben? Noch dazu, weil er völlig frustriert jetzt das Gefühl hat, nicht mehr dorthin zu kommen, wo er möchte, wenn der Mensch nun dauernd stehen bleibt, Rückwärts geht oder ähnliche Trainingstechniken verwendet. Was er über Wochen erfolgreich gemacht hat, wird er jetzt auch über mehrere Wochen versuchen weiter durchzusetzen!

Warum ist die lockere Leine so wichtig?
Zum einen aus gesundheitlichen Gründen. Gerade mit Halsband führt dauerhaftes Ziehen (ebenso wie heftiges in die Leine springen!) zu Reizungen des Kehlkopfes. Im Weiteren kann es außerdem zu Schwierigkeiten mit der (Hals-)Wirbelsäule und Bandscheibenproblemen kommen. Auch im alternativ eingesetzten Geschirr sind die Probleme zwar etwas weniger schnell zu befürchten, doch auch hier kann dauerhaftes Ziehen gesundheitliche Schäden verursachen: durch die Fehlbelastung des Bewegungsapparates und einer damit verbundenen falsche (Über-)Anstrengung der Muskulatur führt dies zu Verspannungen und auf Dauer oft zu Fehlhaltungen des Hundes.
Zum anderen natürlich aus erzieherischer Sicht. Ein Hund der anständig an der Leine läuft ist unter Kontrolle, konzentriert und achtet auf seinen Besitzer. Und allein dies ist ein Ziel, für das es sich zu trainieren Lohnt: diese fortwährende Bindung zum Hund – denn nur wenn der Hund einen Großteil seiner Aufmerksamkeit uneingeschränkt bei seinem Menschen am anderen Ende der Leine hat, wird er den Tempo- und Richtungswechseln umgehend folgen können, so dass die Leine locker bleibt! Und in der Regel wird sich diese Bindung auch später im Freilauf positiv auswirken.


Nächste Woche geht’s weiter...

Die Praxistipps: Wie man das lockere Leine gehen sinnvoll trainiert


Übrigens: Einem Hund, der nie gelernt hat an der Leine zu gehen, kann man nicht vorwerfen, dass er hier versucht „seine Alphastellung durchzusetzen“ oder ähnliches. Ein Hund wurde nicht mit der Leine geboren und hat demzufolge keine Vorstellung davon, was diese Bewegungseinschränkung nun zu bedeuten hat. Für ihn ist es nicht natürlich sich an diesen eingeschränkten Radius anzupassen – er muss es schlichtweg erst lernen und trainieren! Außerdem leben wir in der Mensch-Hundebeziehung das Rudelprinzip viel zu wenig, als dass der Hund einem ursprünglichen Instinkt folgend eine Hierarchie beim gemeinsamen Spaziergang ähnlich der einer Jagdhierarchie z.B. bei Wölfen folgen könnte und sich demnach immer hinter seinem „Alpha“ laufend befinden würde.

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